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Doubs 36: Ode an den Doubs

Im laufenden Jahr reichte es uns leider nur für zwei Besuche am Doubs. Dazu bewanderte ich mit Frau H. die Strecke Soubey bis St. Ursanne.

Umso schöner, wenn sich der Doubs in meine Nähe bemüht; einen Halt macht im Musée jurassien d’art et d’histoire in der Kantonshauptstadt Delémont: mit einer sehenswerten Ausstellung von Pastellkreidezeichnungen und Ölgemälden des Neuenburger Künstlers Charles L’Eplattenier (1874-1946). Der hatte sich mir vor einigen Monaten als künstlerischer Gestalter des Krematoriums von La Chaux-de-Fonds eingeprägt.

Die ausgestellten 30 Werke stammen vorwiegend aus einer Serie von über hundert Pastellgemälden aus den Jahren 1914 und 1915, die heute unter dem Namen Poème du Doubs (Ode an den Doubs) bekannt sind. L’Eplattenier war mit der Region des Jura tief verbunden.

Er suchte die Intimität der Natur, campierte im Zelt an den Ufern des Doubs wie auf den umliegenden Höhen der Doubsschlucht, um den Geist dieses Flusses und seiner Umgebung in eine Vielzahl von Farben und Formen zu bannen. In den „sur le motif“ spontan gezeichneten Pastellgemälden lädt er dazu ein, diese Landschaft zu Fuss zu erkunden.

Charles L‘ Éplattenier wurde 1874 in Neuchâtel geboren. Der Tod seines Vaters, an Tuberkulose verstorben, brachte die Familie in finanzielle Schwierigkeiten. Der Junge absolvierte eine Lehre als Maler und Gipser, besuchte nebenbei Abendkurse bei dem Neuenburger Maler und Architekten Paul Bouvier. Um die Mutter zu entlasten, wurde er 1889 zu einer Tante nach Budapest gegeben. 1892-94 studierte an der Kunsthochschule in Budapest. Stipendien der Eidgenossenschaft und des Kantons Neuchâtel erlaubten ihm die Fortsetzung seiner Studien in Paris. Im Alter von 18 Jahren wurde er nach einem Auswahlverfahren an die Ecole nationale et spéciale des Beaux-Arts aufgenommen. 1896 kehrt er in die Schweiz zurück. Von dekorativer Kunst und Jugendstil angesprochen, unternahm er Studienreisen nach London, Belgien, die Niederlande und München. Ab 1897 war er Lehrer für Zeichnen und dekorative Komposition an der École d’Art in La Chaux-de-Fonds, eine Kunstgewerbeschule, die ursprünglich der Ausbildung von Graveuren für die Uhrenindustrie bestimmt war.

Aufgrund seiner Anregungen wurde die Ausbildung an der Kunstgewerbeschule grundlegend reformiert. Nach dem Vorbild der 1903 eröffneten Wiener Werkstätte entwickelte er mit seinen Schülern eine besondere Ausprägung des Jugendstils (style sapin), die ihre Quellen im Studium der Natur und ihren Gegebenheiten suchte. 1912 erweiterte er das Ausbildungsangebot mit Unterstützung dreier seiner besten Schüler, u.a. Charles-Edouard Jeanneret, dem späteren Le Corbusier.

In diesen Jahren beteiligte er sich erfolgreich an Gruppenausstellungen, u.a. neben Ferdinand Hodler.

Interne Zwistigkeiten veranlassten ihn 1914, seine Stelle an der Kunstgewerbeschule abrupt zu kündigen. Der erste Weltkrieg tobte ausserhalb der Schweizergrenze in Europa. L’Eplattenier diente als Soldat in der Festung Savatan bei Saint-Maurice. Während eines Urlaubs zog er sich in die einsamen Schluchten des Doubs zurück. Dabei entstand die wunderbare Folge der Pastellbilder die er 1915 in seiner ersten Einzelausstellung präsentierte.

1924 schuf er in Erinnerung an die Grenzbesetzung seine berühmte, aus einem 20 Tonnen schweren Findling gehauene Skulptur „La Sentinelle“ (der Wächter). Der Volksmund nannte die monumentale Statue wegen ihrer martialischen Haltung „Le Fritz“. Während des Jurakonflikts kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen um das Denkmal, weil Separatisten in ihm ein Symbol der «bernischen Besatzung» sahen. 1989 wurde die Statue von aufmüpfigen Jurassiern vom Sockel geholt. Letztlich mit Vorschlaghämmern der Kopf in Stücke gehauen.

Architektur und Stadtplanung waren weitere Bereiche, in denen sich L’Eplattenier engagierte. Zusammen mit dem Architekten Chapellaz entwarf und baute er 1926 das bunte Museum der schönen Künste in La Chaux-de-Fonds.

In den folgenden Jahren war er vielseitig als Maler, Zeichner, Bildhauer, Architekt, Dekorateur und Buch-Illustrator tätig. Immer wieder zog es ihn an den Doubs. In Les Brenets besass er ein Ruderboot, in welchem er schwer zugängliche Stellen des Grande Bassin, oberhalb des Saut du Doubs, anfuhr.

1946 stürzte er, der gewandte Berggänger und Naturverbundene „homme des bois“, an einer glitschigen Stelle in felsigem Gelände nahe den Ufern des Doubs zu Tode.

Obwohl er, im Gegensatz zu Ferdinand Hodler nicht wirklich über die Grenzen der Schweiz hinaus bekannt wurde, hinterliess er ein enormes Werk und zahlreiche Schüler, die von ihm geprägt wurden.

Als Abschluss meines Porträts ein gekürzter Ausschnitt einer historischen Filmaufnahme von 1944 Agfa 8mm. Sie zeigt den Künstler am Ufer des Doubs: wie er malt und Mahlzeit hält.

Dauer der Ausstellung vom 19. November 2022 bis 26. Februar 2023.

Damit wünsche ich allen Leserinnen und Lesern schöne Feiertage.

Quellen: Charles L’Eplattenier: Les Pastels. Herausgeber: Marine Englert und N.M. Güdel, Editions Notari 2022

Auf der Suche nach einer verlorenen Glockenblume

(Endlich) wieder einmal am Doubs. In Biaufond. Die Sonntagsexkursion wurde von Jurri (Dr. Jurriaan de Voos, u.a. Kurator der Herbarien der Basler Botanischen Gesellschaft und des Botanischen Instituts der Uni Basel) organisiert und geleitet.

Der Doubs bei Biaufond

Bei der Digitalisierung alter Herbarblätter aus dem frühen 18. Jhdt. stiess er auf Archivalien des Neuenburger Naturforschers Abraham Gagnebin  (1707-1800). Von Beruf Arzt, verdingte sich Gagnebin als Militärchirurg bei dem Schweizer Regiment in Strassburg. 1735 quittierte er den Dienst und liess sich als Arzt in La Ferrière nieder, im Neuenburger Jura. Hier befasste er sich auch mit Botanik, Meteorologie und Paläontologie. Als Botaniker sammelte und beschrieb er die Flora der Schweiz, vornehmlich im Auftrag eines anderen Schweizer Naturforschers, Albrecht von Haller (der 500 Franken-Haller auf der alten Schweizer Banknote).

Eines dieser Herbarblätter von Gagnebin beschrieb die heute seltene Breitblättrige Glockenblume, Campanula latifolia L.. Auf dem alten Herbarblatt ist der Fundort beschrieben: am Lac Cul des prés unterhalb von La Ferrière. Diesen vor über 250 Jahren beschriebenen Ort wollte Jurri verifizieren; nachsehen, ob es hier noch persistente Exemplare dieser Art gibt.

Grenzpfahl F/CH im Doubs und das Boot in Glockenblumenblau

Nur zu gerne hätte ich als Proviantträger und Botaniklaie die gesuchte, blaue Glockenblume selber gefunden, aber was immer ich fand, gehörte einer andern Art an: zB. Campanula trachelium, die nesselblättrige Glockenblume. Experten sehen das mit einem Blick.

Campanula trachelium

Wie bei botanischen Expedition üblich, wird bei jeder seltenen Pflanze ein längerer Halt eingelegt, dann gehen alle in die Knie oder beugen sich zu Boden, greifen zu ihren Lupen und begutachten und bestimmen die Pflanze nach den Regeln der Wissenschaft. Dann wird nur noch Latein gesprochen. Als botanischer Voll-Laie erfreute ich mich derweil dem Spiel der Sommervögel zuzusehen und nutzte die Pausen, um bei der Hitze Atemholen zu können.

Pyrameis atalanta: „Er war ein junger Schmetterling, der selig an der Blume hing

An den Engstellen der Schlucht war es gleich einige Grade kühler.

Nein, hier ist sie auch nicht

Die Suche wurde unterbrochen vom Mittagshalt (mit Butterbrot, Käse, Salatblatt, Röstpeperoni) an einem lauschigen, frischen Plätzchen unter riesigen Felstürmen.

Auch an der überhangenden Felswand ist keine blaue Glockenblume zu sehen

Nach 3 Stunden gelangten wir ans hintere Ende der Schlucht Combe de Biaufond mit den berühmten Leitern.

Leichtfüssig stürmt sie die Schlucht bergauf: Madame H.

Oben angelangt, wurde schliesslich Professor Boller am kleinen See fündig, erst waren alle enttäuscht, weil die Blumen bereits verblüht waren, doch weiter hinten waren noch Dutzende in voller Blüte: Campanula latifolia L.

Dieselbe Wanderung hatte ich in meinen Doubsberichten schon einmal beschrieben, jedoch in umgekehrter Richtung: 600 Meter hinab, 200 m hoch. Und hatte damals sogar die seltene Glockenblume fotografiert, siehe hier. Nur dass ich damals noch nichts um den Schluchtenschatz wusste.


Auf den Höfen ringsum
läutet es Mittag.
Läutet’s auch Mittag –
in mir? ..

Ich seh‘ eine Glockenblume
neben mir blauen:
mit neun offnen Glocken
und drei noch verschlossnen.

Die läute für mich mit,
nun, da es rings
auf den Höfen
den Mittag läutet.

(Aus: Vormittag-Skizzenbuch – VI. Christian Morgenstern)

F-25150 Pont-de-Roide (Doubs 35)

Wenn schon nicht Paris, dann ein Katzensprung über die französische Grenze, nach Pont-de-Roide. An den Ufern des Doubs. Wieder einmal. Frau H. kennt hier eine schöne Gratwanderung entlang der Crêt des Roches in einem Naturschutzgebiet. An den Schattenhängen über Goumois liegt noch Schnee, tief unten glitzert der Doubs. Der Himmel blau, eiskalt.

Wieder runter nach Saint Hippolyte und nach wenigen Kilometern sind wir in Pont-de-Roide. Natürlich kein Vergleich mit Paris. Rund 4000 Einwohner. Schönstes Gebäude der Stadt: das Hôtel de Ville.

Hässlichstes Gebäude: der Lidlschuppen (links daneben, ohne Bild). Die übrigen Häuser irgendwie dazwischen. Mittagessen im Restaurant La Tannerie am Ufer des Doubs. Einfach, ordentlich, freundlich. Danach hoch zum Parkplatz des Fort des Roches auf 615 Meter Höhe.

Die Festung Fort des Roches wurde zwischen 1874 und 1880 am Rande einer Klippe errichtet, die sie an seiner Nord- und Westseite unzugänglich macht. Sie überwachte das Doubs-Tal, die Straße von Vesoul nach Saint-Hippolyte, die umgebenden Plateaus und sicherte das südlich von Montbéliard gelegene Fort Mont-Bart vor Umgehung. Die Kommunikation erfolgte zu Beginn mit optischer Telegrafie.

Als Folge der Niederlage von 1871 und des Verlusts von Elsass-Mosel (im französisch-deutschen Krieg) wurde von Dünkirchen bis Nizza ein neues Verteidigungssystem von isolierten polygonalen Forts errichtet. Insgesamt wurden 212 Forts, 18 Schanzen und 156 Festungen neu erbaut.

Endlose Gänge,

die teils an verlassene psychiatrische Kliniken erinnern. Sinnbild des kriegerischen Irrsinns.

Das Design der Latrinen scheint seit 2000 Jahren keine Fortschritte gemacht zu haben; jene z.B. in Ostia antica im alten Rom waren in Marmor gehauen und auf Sitzhöhe angebracht. Siehe Bild bei wiki

Nur in der Küche wächst hoffnunfsfrohes Suppengrün aus dem Festungsgraben in den Fensterausschnitt.

Nach dem Rückfall des Elsass-Mosel 1918 an Frankreich verschob sich die Grenze wieder an den Rhein. Die meisten Fortifikationen der Nord-Ost-Flanke verloren an militärischem Wert, weil sie zu tief im Landesinneren lagen. Sie wurden grossenteils aufgegeben oder 1936 in die spätere Maginotlinie integriert.

Nach soviel Düsternis & Dunkelheit durften wir auf der Wanderung entlang der Felskrete Sonnenschein und erste Frühlingsblüten (unten das immergrün Felsenblümchen) geniessen. Die Welt könnte ohne Kriege so schön sein.

Dijon III: Abseits des Doubs (34)

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Dijon: Place de la Libération mit Blick auf die Cathedrale Saint-Michel

Heute fröne ich wieder einmal der Geschichte. Uninteressant für die meisten Leser. Also bitte wegklicken! Bevor die Dame im Headerbild mit der historischen Keule zuschlägt.

Noch eine halbe Runde um das Halbrund des Platzes. Die zuführenden Strässchen öffnen neue Blickachsen auf den Platz.

Aus dem Herzogtum Burgund, der Freigrafschaft Burgund und der Grafschaft Flandern, die er geerbt hatte, formte Philipp der Gute (1396-1467) ein einheitliches Staatsgebilde von Gebieten beiderseits der Grenze zwischen Deutschland und Frankreich. Dabei versuchte er, sich von der Lehenshoheit des französischen Königs bzw. des römisch-deutschen Kaisers zu lösen. Philipp schloss eine Allianz mit England, dem Erzfeind Frankreichs (im Kontext des Hundertjährigen Krieges). Der kriegerische Konflikt zwischen Frankreich und Burgund endete erst 1435 mit dem Vertrag von Arras. Burgund erhielt einige zusätzliche Gebiete und wurde faktisch zu einem unabhängigen Staat.

1465 übergab Philipp der Gute alle Regierungsgeschäfte an seinen Sohn Karl, der die Politik sowie den überschwänglichen Luxus und die Prachtentfaltung seines Vaters fortführte. Legendär waren u.a. die berühmten Tapisserien, die der Herzog zu jeder Gelegenheit anfertigen ließ. Aus der Burgunderbeute von Grandson sind einige dieser für die damalige Zeit sehr luxuriösen Wandteppiche erhalten und im Berner Historischen Museum zu besichtigen.

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Dijon: Rue Vauban

Der Konflikt mit Frankreich entflammte von Neuem. Karl schloss ein Bündnis mit Eduard IV. von England zur Eroberung Frankreichs, Ludwig XI. verhandelte mit dem deutschen Kaiser, den Habsburgern und der Eidgenossenschaft. Karl verstrickte sich in erfolglose Kämpfe, überwarf sich mit Sigismund von Österreich und den Eidgenossen. Das Intrigennetz des französischen Königs zog sich zusammen. Die Burgundischen Söldnerheere wurden von den durch Ludwig mit Geld verführten Eidgenossen geschlagen. Karl liess dabei sein Leben.
Nach seinem Tod zog der französische König das Lehen des Herzogtums Burgund wieder ein, das fortan zur französischen Domaine Royale gehörte. Im Frieden von Arras (1482) erhielt Frankreich dazu die Freigrafschaft Burgund, Artois, die Picardie, Ponthieu, Boulogne, Vermandois und Mâcon. Während Maximilian Flandern und die übrigen Besitzungen Karls im heutigen Belgien und den Niederlanden erhielt. 

Der Herzogspalast wurde danach zeitweise von den französischen Königen als Residenz genutzt. Später auch durch die Gouverneure der Provinz.

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Dijon: Rue du Palais

Pompöser Kulminationspunkt der Rue de la Libération ist die Opéra de Dijon. Wegen Covid derzeit noch geschlossen.

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Dazu passt ein Blick ins Musée Rude, einem kleinen Annex des Musée des Beaux-Arts mit den Werken, bzw. Gipsabgüssen des Dijonnaiser Künstlers François Rude. Hier die moulage des vom Arc de Triomphe in Paris bekannten „Départ des Volontaires de 1792„, La Marseillaise, 1938 vom Staat in Gips gegossen, da man damals befürchten musste, dass der Triumphbogen in Paris während des erwarteten Krieges zerstört werden könnte.

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La Marseillaise: in Gips wirken kriegende Weiber hässlich
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Rue des Forges: Hôtel Aubriot

Wozu die hochmütig herabblickende, weibliche Schildhalterin am Hôtel Aubriot in der Rue des Forges ihre Keule trägt (siehe Headerbild), erschloss sich mir erst zuhause nach Recherchen. Erst dachte ich an ein Emblem, das die soziale oder politische Stellung des Hausbesitzers symbolisch oder real charakterisieren soll. Das Hôtel Aubriot steht auf einem alten Gebäude des Namensgebers aus dem 13. Jahrhundert. 1739 wurde es vom Staat gekauft und darin die Gerichtsbarkeit des Präsidialamtes untergebracht. Die beiden weiblichen Schildhalterinnen repräsentieren die Gewalt und die Gerechtigkeit.

Bei der Strassengabelung der Rue Jean-Jaques Rousseau mit der Rue Auguste Comte trifft man auf eine hübsche trompe l’oeil Wandmalerei als bildhafte Fortsetzung der Bäume des kleinen Platzes. Versteckt hinter einem Schuppen ein weisser Kopf in Carraramarmor mit rotem Halstuch. Den kennen wir doch?? Tatsächlich: Giuseppe Garibaldi. Was der Haudegen in Dijon zu tun hatte?

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1870/71, während des Deutsch-Französischen Krieges, stellte Garibaldi ein italienisches Freischärlerkorps zusammen. Er griff damit in Burgund gegen die Deutschen ein, um die neue Französische Republik zu unterstützen. Er blieb in 3 Schlachten um Dijon ungeschlagen aber doch erfolglos, konnte den Durchmarsch der Deutschen in die südlich gelegenen, burgundischen Weinkeller der Côte-d’Or stoppen, aber weder den Kriegsverlauf noch den Waffenstillstand oder die Kapitulation beeinflussen. Vom Waffenstillstand wurde der Südosten mit Dijon übrigens ausgeschlossen. Die Rache der Preussen wegen entgangener Weinfreuden.

Und zum Abschluss noch eine schöne Türe. Closed. Dann halt „Prima le parole, e dopo la musica“ Und Abschluss schon gar nicht. Nein, nach Dijon muss ich wieder. Zur (bisher) Schönsten der Schönen.

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Quellen: wiki diverse

Dijon II: Abseits des Doubs (33)

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Dijon: Hõtel de Berbis

28.08.2020: Dijon regennass.

Die Église Notre-Dame aus dem 13. Jahrhundert mit ihrer seltsamen Westfassade kann nicht übersehen werden. Drei Arkadengeschosse und drei Reihen merkwürdiger Wasserspeier, Grotesken, Menschen, Tiere und Monster darstellend (siehe Headerbild). Schon 1240 wurden die Speier wieder entfernt und erst im 19. Jahrhundert -ihrer Funktion beraubt- als Dekoration neu geschaffen und wieder eingesetzt. Die Fassade ist flankiert von zwei säulenartigen, runden Türmen.
Hinter der Kirche Notre-Dame hat ein Steinmetz im 15. Jahrhundert eine Chouette (Eule) auf einem Strebepfeiler verewigt. Streichelt man mit der linken Hand die Eule und legt die rechte Hand aufs Herz, erfüllt sich einem ein Wunsch. Gewiss ein Herzenswunsch. Das muss sein. Kein einfaches Unterfangen, wenn die dritte Hand den Schirm, die vierte das Fotohandy halten, die fünfte Hand das Desinfektionsmittelfläschchen danach öffnen und die sechste Hand der fordernden Bettlerin einen € spendieren sollte. Deshalb kein Bild von der Eule.

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Moutarderie Edmond Fallot

Gleich dahinter der Laden der Moutarderie Edmond Fallot, die aus kanadischer Senfsaat in ihrer Mühle in Beaune Moutarde de Dijon erzeugt und im 2014 eröffneten Laden in einem historischen Dijoner Fachwerkhaus aus dem Jahre 1483 verkauft. In gefühlten 100 Geschmacksrichtungen. Ich kaufe das, was der Bauer kennt: 2 Steinguttöpfe mit Dijonsenf als Mitbringsel.

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Dijon: Moutarderie Edmond Fallot, grün oder rosa?

Nieselregen fegt die Strassen leer. Nicht ganz. Di-Do-FR-Sa ist Markttag.

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Dijon: La Pharmacie Croix blanche mit ihren magistralen Präparationen. Ein Paradies für Quacksalber

In einzelnen meiner Bilder dominieren Einkaufswägelchen die dahinterliegenden Hôtel particuliers (Herrschaftshäuser). Kein Wunder, denn Lebensmittelgeschäfte gibt es in der Altstadt kaum. Alles ist in der Markthalle und drumherum konzentriert. Leben in Lebensmitteln.

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Dijon: Hôtel de Vogüé
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Dijon: Rue Verrerie. Mittelalterliche Fachwerkhäuser
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Dijon: Hôtel Aubriot
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Dijon: Rue de la Chouette

11 Uhr. Markthallen erzeugen Hungergefühle: Hallenhunger. Nach soviel totem Getier ist mir eher nach etwas Leichtem: das Telefonat mit dem Origine von Tomofumi Uchimura leider erfolglos: heute ausgebucht. Denselben Bescheid erhalte ich im Loiseau des Ducs, einer Filiale aus dem Imperium des Bernard Loiseau, der 2003 nach der Herabstufung durch Gault-Millau und Michelin aus dem Leben schied. Ein weiteres Restaurant meiner Wahl (L’un des Sens) ist geschlossen, öffnet erst im September. Na dann, lassen wir uns treiben. Ich finde immer etwas Essbares.

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Dijon: Place de la Libération. Im Hintergrund der Palais des Ducs de Bourgogne 14. 15. und 18. Jhdt. samt Turm, erbaut unter Philip le Bon (1450-1460)

12 Uhr: Place de la Libération. Wasserspiele, im Hintergrund der herzogliche Palast. Mit dem Bau wurde 1364 unter der Herrschaft Herzog Philipps II (le Hardi) begonnen, der in seiner Dynastie der Valois die jüngere Herrschaft Burgund begründete. Die heutige Anlage wird durch einen 52 Meter hohen Turm überragt, der in der Regierungszeit Philipps III des Guten (1419-1467) errichtet wurde. Die meisten der heute sichtbaren Gebäude wie auch der Platz wurden im 17. und vor allem im 18. Jahrhundert im klassischen Stil erbaut.

1799 wurde im Ostflügel anstelle der Privatkapelle der Fürsten von Burgund, der Sainte-Chapelle, das Musée des Beaux-Arts eingerichtet, das neben Gemälden insbesondere die Grabmäler der burgundischen Herzöge ausstellt. Heute befinden sich auch die Mairie, die Touristeninformation, eine Kunsthochschule und das Regionalarchiv im Gebäude.

Im weiten Halbrund vor dem Palast Bistrots und Brasserien. Das Le Pré aux clercs gehört zum Imperium des Georges Blanc, dem 3-Sternekoch aus Vonnas am Ain. Die Sonne bricht zaghaft aus den Wolken. Unter Gartenschirmen lässt es sich draussen tafeln. U.a. ein unglaublich zarter, gut schmeckender Jambon persillée an Senfsauce. Freundlicher Service. Keine schlechte Wahl.

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Dijon: Das Halbrund gegenüber dem Herzogspalast
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Gut gestärkt lässt sich der Nachmittag mit einem Rundgang abschliessen. Wird fortgesetzt.

Quellen: wiki (diverse)

Dijon I: Abseits des Doubs (32)

Steigende Coronafallzahlen in Frankreich, wie überall. Bevor die Grenze wieder unpassierbar wird, wollte ich meinen monatlichen Tagesausflug am 30. August „einziehen“. Regen war angekündigt, doch die Betreuung für Frau L. bereits organisiert. Autofahrten im Regen sind mir zu anstrengend. Dann halt bequem mit dem TGV in die nahe liegende, mir völlig unbekannte Stadt. Ankunft um 9 Uhr in Dijon: es regnet.

Jardin de Darcy

Vorbei am Jardin de Darcy, eine Garten- und Brunnenanlage aus dem Jahre 1880. Die Anlage umschliesst einen 40 Jahre älteren, grossen Trinkwasserspeicher, der durch Ing. Darcy für die Bewohner der Altstadt erbaut wurde. Die Bassins, der Wasserfall, Treppen und Balustraden erinnern ein klein wenig an die Wasserspiele der Villa d’Este in Tivoli/Rom.

Porte Guillaume

Vor der Porte Guillaume, 1788 auf den Fundamenten eines mittelalterlichen Stadttores errichtet, machen Plakate auf die in der Altstadt geltende Maskenpflicht aufmerksam. Es regnet immer noch.

Halles de Dijon

Mit Regenschirm und angenässter Kleidung rette ich mich an der Masken- und Desinfektionswache vorbei in die gedeckte Markthalle. Hier ist es trocken. Und angenehm. Ein Paradies auf Erden. Mein Gott, wie armselig ist unser Basler Markt. Unter dieser von Ingenieur G. Eiffel inspirierten Struktur aus Glas und Eisen findet man alle burgundischen Köstlichkeiten, für die das Land bekannt ist und die einem den Mund wässrig machen: Epoisses, Jambon persillée, Geflügel, Fleisch von Charolais-Rindern, Wein.

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Halles de Dijon
Halles de Dijon: Poulets de Bresse

Geplant und erbaut wurde die Halle auf dem Gelände eines alten Dominikanerklosters in den Jahren 1873 – 1875 durch lokale Ingenieure, inspiriert durch Bauten von G. Eiffel. Fläche: 4.400 m2, Gesamthöhe: 13 Meter. Die Halle ist in zwei Hauptkreuzschiffe mit vier Pavillons gegliedert und beherbergt bis zu 246 Geschäfte.

Halles de Dijon: Le „petit“ Persillée. Immerhin etwa 30 x 20 cm Querschnitt.
Halles de Dijon: Hier scheint alles grösser
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Halles de Dijon: nur mit dem Emmentaler wills nicht richtig klappen
Halles de Dijon: 4 Poissonniers für eine Stadt, die kleiner ist als Basel
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Halles de Dijon: Goûts et Saveurs

Schade, dass ich nicht an eine Kühltasche gedacht hatte. Das passiert mir kein zweites Mal. Trosttee zum Aufwärmen und Trocknen: ein Kännchen vorzüglichen Yunnans, im Le Paï-Sho mit einer grossen Auswahl und zuvorkommender Bedienung durch den Inhaber.

Gegen 11 Uhr bricht die Sonne durch die Wolken, gleich neben den Hallen treffe ich auf Wandkunst, die das Thema der Hallen reflektiert, davor noch mehr Kunst. Kunst der andern Art. Da ich keinen Jambon persillée nach Hause tragen konnte, wollte ich auch keinen weiblichen Torso unter dem Arm mitschleppen. Ohne Schinken und Kunst läuft es sich entschieden leichter. Wird fortgesetzt…

Halles de Dijon: Wandmalerei mit weiblichen Torsi im Regen

Cascades du Hérisson: Abseits des Doubs (31)

Zurück aus Freiheit und Selbstbestimmung in die Tretmühle des Internets. Das Headerbild zeigt die Krone der Gefängnismauer von Lons-le-Saunier. Denn dort war ich Ende Juli nochmals. In der Stadt, nicht im Gefängnis, wiewohl man sich die Frage stellen könnte, ob in einem internetfreien Raum, wie ihn das maison d’arrêt oder ein Kloster bietet, eine andere Art von Freiheit existieren könnte. Müssige Gedanken. Direttissima bis Besançon. Kurz danach hinab zum Doubs. Freudiges Wiedersehen mit dem Fluss morgens um Neune.

Doubs bei Fraisnans

Danach gemächlich südwärts nach Lons. Parken beim Maison d’Arrêt. In der Klosterkirche der Franziskaner (église des cordeliers) liegen die Gräber und Gebeine der Familie Chalon. Für Touristen leider unzugänglich. Also nichts wie raus. Lassen wir dem edlen Geschlecht die ewige Ruhe und wenden uns dem Leben zu: Vis-à-vis eine schöne Haustüre mit der Lieblingshausnummer 22. Daneben locken Schönheiten für die Restauration von Nägeln, Teint und Lippen. Kein Bedarf.

Lons-le-Saunier: Haus Nr. 22

An einer Hauswand präsentiert ein junges Graffito-Mädchen selbstbewusst die Lösung ihrer Mathe-Aufgaben an der Wand. Toll.

Lons-le-Saunier, Graffito

Doch mein Ziel sind die hübschen, kleinbäuerlichen Winzerhäuschen in der Rue de Balerne hinter der Comédie. Die vielen Rebmesser (Hippe, Gertel) in den Türstürzen (schon wieder die Nummer 22!) zeugen davon. Lons gehört zu den Côtes du Jura, wenngleich der Weinbau im Stadtgebiet heute keine Bedeutung mehr hat.

Lons-le-Saunier, Rue de Balerne Nr. 22
Lons-le-Saunier, Rue de Balerne, Pariserbrunnen

Unerwartetes Wiedersehen mit dem Pariserbrunnen aus der Zürcher Bahnhofstrasse. Die meisten dieser teils noch erhaltenen Brunnen stehen in Paris. Sie wurden nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 von dem englischen Mäzen Richard Wallace gestiftet, um armen Menschen Zugang zu trinkbarem Wasser zu verschaffen, da die Wasserversorgung durch die Zerstörungen des Kriegs teilweise unterbrochen war. Die vier gusseisernen Karyatiden verkörpern Einfachheit, Güte, Nüchternheit und Nächstenliebe. Heiss ist es heute 35°C. Doch der Brunnen spendet kein Wasser.

Mich ziehts zum Wasser. Erst an den berühmten Aussichtspunkt „Belvédère des quatre lacs“. Es sind tatsächlich 4 Seen, von mir nachgezählt, doch der Versuch, mich mit allen Vieren auf einem Bild abzulichten, misslang. Mein Arm war zu kurz.

Danach in die schattig-kühle Schlucht der Hérisson-Wasserfälle. Eine imposante Schlucht mit 7 unterschiedlich hohen Wasserfällen und einer gesamten Höhendifferenz von 250 Metern. Die Franzosen feiern Ferien, Corona-bedingt im eigenen Land und viele mit derselben Absicht wie ich. Ich begann die Wanderung von oben, weil ich schon oben war. Die einheimischen Touristen, ganze Familienverbände, unter Masken hochkeuchend, meist von unten. An den vielen Engstellen ist gleichzeitiges Passieren nicht möglich. Warten bis die Familien alle Kinder über die Felsstufen der Schlucht hochgewuchtet haben. Warten, die Grossmutter will auch noch hoch, Warten auf den Nachzügler mit dem Essen und den Campingstühlen. Die ganze Schlucht ein Picque-nique Platz. Im Hochsommer führen die Gewässer der Karstgebirge wenig oder gar kein Wasser. Ich hätte es besser wissen müssen.

Zuoberst, am Saut Girard, dem Beginn meiner Wanderung, tropfen die letzten Tropfen hör- und sichtbar aus dem Fels.

Weiter unten, am Saut de la Forge reicht das Wasser gar für ein dünnes Rinnsal.

Saut de la Forge
Gour bleu

Der 60 Meter hohe Grand Saut war trocken. Ich ersparte mir den weitern Abstieg in die Tiefe, musste ja bei der Hitze wieder rauf, und brach die Übung ab. Gerne nochmals, aber ausserhalb der Feriensaison im März nach der Schneeschmelze.

Le Grand Saut, 60 Meter tief

Die Heimfahrt führt mich über den Ain bei Pont-du-Navoy Richtung Poligny und Arbois. Der Ain übernimmt übrigens das Wasser des Hérisson und mündet Nähe Lyon in die Rhone. Alle Wasser führen zum Meer. Das Leben hat mich wieder.

Pont du Navoy aus dem 18. Jahrhundert

Poligny: Abseits des Doubs (30)

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Belvédère de Crançot: Blick in die Reculée de Baume

Ausreisen bedeutet immer auch Heimreisen. Heimkehr zwingend. Irgendwo in der französischen Provinz zu verweilen, gar zu stranden: unmöglich. Von Lons-le-Saunier umfahre ich auf der D471 den Talkessel von Baume-les-Messieurs Richtung Schweiz. Bei Crançot bietet sich ein schöner Blick ins Tal. Und warum nicht gleich nochmals hinunterfahren. Ich bin noch nicht fertig hier. Mit einem Abstecher nach Granges-sur-Baume, wo mitten im Dorf ein Aussichtspunkt samt angeschlossener Laiterie mit Butter und hauseigenem Comté lockt. Die Laiterie Poulet war, um 14 Uhr kein Wunder, geschlossen, der Aussichtspunkt immerhin zugänglich.

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Belvédère de Granges-sur-Baume, Blick auf Baumes-les-Messieurs
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Baume-les-Messieurs: Benediktinerabtei Saint-Pierre

In Baumes-les-Messieurs fahre ich bis in den hintersten Teil des Felsenschlusstales. Mäxle parkiere ich auf dem letzten Schattenplatz inmitten einer Armada von Caravan-Schlachtschiffen. Der Tuffstein-Wasserfall (Wasserfälle schliessen nur selten) wird von einem unterirdischen Bach, dem Dard, alimentiert, der sein Wasser inmitten einer grünen und magischen Landschaft aus Moosüberwachsenen Felsen in die Freiheit entlässt. Um die Cascade des tufs zu besichtigen ist es Ende Juni schon zu trocken, im Frühjahr sind die Wasserfälle eindrücklicher. Unweit davon ist der Eingang zu den Grottes de Baume. Grosse Höhlen, mit viel Licht und Lumière bunt und kitschig (sprich: eindrucksvoll) angestrahlt. Disneyland unterirdisch. Nur mit Voranmeldung auf eine Covid-Sondernummer und Führung in Kleinstgruppen zu besichtigen. Muss nicht sein.

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Cascade des tufs
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Cascade des tufs

Nächster Halt in Poligny, la Capitale du Comté. Im Stadtgebiet entspringt der Bach Orain, der nach 39 km in den Doubs mündet. Eine mittelalterliche Kleinstadt, kleiner als Lons, 8 Käseläden mit rund 4000 Einwohnern. 3 Monate musste ich ohne Comté auskommen. Meine Wahl fiel auf den Laden Essencia. Ein Besucher aufs Mal. Ein kleiner, altmodischer Laden mit sehr guter Auswahl u.a. der Comtés des grossen Affineurbetriebs Vagne. Ein Grund, um wieder hieher zu kommen.

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Das Lächeln der Tante (Mamie Vagne?) von Monsieur Philippe Bouvret

Gleich vor der Türe des Käseladens liegt die Kirche des ehemaligen Cluniazenserpriorats. Gegründet 1083 durch Bernard, Abt in Baume-les-Messieurs. Unklare Besitzverhältnisse führten zu einem langen Streit mit den Bischöfen von Autun, der erst 1523 durch Jeanne de Bourgogne entschieden wurde. Kirche und Kirchengut blieben bei Baume. Im 15. Jahrhundert wurde die Pfarrei mit jener der Kollegiatskirche Saint-Hippolyte in Poligny zusammengelegt, was letztlich zum Verfall des Priorats führte. 1450 wurde das Prioratsgebäude demoliert. Die Kirche scheint nicht mehr in Betrieb zu sein: Geschlossen.

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Église Notre-Dame de Mouthier-le-Vieillard
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Turm der ehemaligen Kollegiatskirche Saint Hippolyte

Poligny lebt heute noch vom Handel, dem Weinbau und der Verarbeitung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse aus der Umgebung. Wie in vielen anderen, kleinen Städten der Provinz sind die Anzeichen für den fortschreitenden Verfall von Angebot und Nachfrage unübersehbar: Geschlossene Läden, vergammelte Bars, Supermarchés auf der grünen Wiese.

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Eingangsportal Hôtel de Fauquier-Beauffremont, 17. Jahrhundert
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Hotel d’Astorg, 18. Jahrhundert

Prachtvoll die Bürgerhäuser aus dem 16. bis 19. Jahrhundert, an der Grande-Rue teils mit Renaissanceportalen. Prachtvoll die Statue von General Travot, einem Sohn der Stadt. Liebenswert die kleinen Wohnhäuschen in der Rue de Boussières. An der Nordseite ein Wehrturm (Tour de la sergenterie).

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Hausglocke an der Rue de Boussières
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Durchgang zum Tour de la Sergenterie
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Tour de la Sergenterie

Zum Abschluss noch die obligate Stippvisite in Arbois, 3 Flaschen Savagnin zum Kochen.
Fazit: Es ist noch alles da, wie ich es vor 8 Monaten verlassen hatte. Und doch von einem Schleier aus Mehltau überzogen.

Lons-le-Saunier: Abseits des Doubs (29)

Actuellement fermée, la le …. ne peut malheureusement ouvrir pour la saison touristique, l’implantation ne permettant pas de respecter les distanciations recommandées. Alltag (nicht nur) in Frankreich.

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Seitenarm des Doubs bei Osselle

Meine Reiselust ist seit 8 Monaten verhagelt. Als ob Brotbacken, Kochen, Waschen, Radfahren und trautes Heim Ersatz für meine (mir derzeit einzig möglichen) Eintagesreisen sein könnten. Die Grenzen sind wieder offen. Mag nicht mehr warten. Kann nicht mehr warten. Werde nicht mehr warten. Mein persönliches Tageshoroskop frei nach Rilke: Wer jetzt nicht reist, reist nimmermehr. Montag ist zwar der ungeeignetste Wochentag für Ausreisen, aber der einzige, an dem ich die Betreuung von Frau L. spontan regeln kann. Allgemeine Richtung Doubs, planlos. Der Himmel weint vor Freude.

Scheibenwischen bis Besançon, dann runter von der Autobahn, bei Osselle an und über den Doubs. Sonnenstrahlen brechen durch die Wolken. Doubsseidank. Die im 13. Jahrhundert entdeckten Grotten von Osselle sind wegen Covid noch geschlossen. Auch gut. Geführte Touren ohne Chance, dem Schwall von Wissen und Anekdoten angelernter Tourenführer entrinnen zu können, tue ich mir in meinem Leben nicht mehr an. Ein altes, in den USA erworbenes Trauma, unter dem ich heute mehr denn je leide.

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Also lasse ich die ausgestopften Höhlenbären aus Kunstfell unbesichtigt im Pleistozän stehen und gondle über die Loue-Brücke in Quingy auf wenig befahrenen Landstrassen südwärts. In Voiteur weckt die Baumallee zum Schloss Saint Martin und eine interessante Aussenkonstruktion mein Interesse. Schlossherberge samt Aussenkonstruktion wegen Covid vorübergehend geschlossen.

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Kurz vor Lons winkt eine Tafel zum Schloss Le Pin. Errichtet wurde die Burg im 13. Jahrhundert von Jean de Chalon, Herzog von Burgund und Seigneur d’Arlay. Unter Ludwig XI. wurde sie zerstört. Wiederaufbau im 15. Jahrhundert mit einem imposanten Bergfried. Schöner Blick auf die Umgebung. Schloss wegen Covid vorübergehend geschlossen.

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Kurz darauf erreiche ich Lons-Le-Saunier. Noch rund 500 km vom Meer entfernt. Tiefe französische Provinz. Rund 17’000 Einwohner. Alles übersichtlich. Alles vorhanden, was eine Kleinstadt benötigt: Spital, Justizpalast, Gemüse- und Fischhändler, Kirchen & Kebab-Buden, das Geburtshaus des Lokalheiligen, hier Rouget de l’Isle.

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Tour de l’horloge / Uhrturm

Im 15. Jahrhundert stand hier eines der Tore der Stadtmauer von Lons-le-Saunier. Nach dem Anschluss der Franche-Comté an Frankreich, 1678, wurde das Stadttor durch einen vierstöckigen Glockenturm mit Uhr und Zifferblättern mit römischen Ziffern ersetzt. 1758 wurde der Turm versetzt und seitlich an der Ecke des Place Liberté wieder aufgebaut. Der Platz selber ist auf dem Gelände des zugeschütteten, mittelalterlichen Wallgrabens angelegt.

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Rue de Commerce

Die Rue de Commerce formt mit ihren 146 individuellen Arkaden ein geschlossenes, harmonisches und intaktes Bild. Das Leben unter den Arkaden wirkt am Montagmorgen noch verschlafen, scheint sich auf die Parkplätze davor zurückgezogen zu haben.

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Rue de Commerce Montagmorgen

Einzelne der Arkadenpfeiler sind mit Fratzen (Maskaronen, Neid- oder Gaffköpfen) verziert. Die sollen mit bösem Blick Dämonen vertreiben und damit das Haus beschützen. Eine einmalige Investition, billiger als wiederkehrende Versicherungsprämien. Am obern Ende der Rue du Commerce steht das Geburtshaus von Rouget de l’Isle, dem Verfasser der Nationalhymne „Marseillaise“, das ein kleines Museum beherbergt. Montags geschlossen.

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Blumentopf-Regenrohr-Karyatide an der Rue de Commerce

Der Ort ist seit prähistorischen Zeiten besiedelt, die Gründung der Stadt geht auf mindestens 100 v. Chr. zurück; die Sequaner dominierten die Region bis zur römischen Eroberung. Die salzhaltigen Quellen wurden bereits zu römischen Zeiten ausgebeutet.

Ein Castrum wurde 1097 erwähnt; 1237 war es das Schloss von Jean de Chalon. Die Burg wurde wahrscheinlich gegen Ende des 14. Jahrhunderts umgebaut. Sie wurde 1510 durch einen Brand beschädigt und nach 1530 aufgegeben.

Im Juni 1637, während des Zehnjährigen Krieges, belagerten die Franzosen die Stadt. Der Verteidiger, Christophe de Raincourt, hielt bis zum 6. Juli durch. Als ihm Munition und Nahrungsmittel ausgingen, steckte er die Stadt in Brand. Von 1674 bis 1688 wurden die Gräben zugeschüttet und die Befestigungsanlagen zwischen 1716 und 1758 schrittweise abgerissen. Die Ruinen des Schlosses wurden 1735 für den Bau des Rathauses eingeebnet. Heute beherbergt Lons-le-Saunier die Präfektur des Departements Jura.

Nicht zu vergessen das Théâtre. Das Theater wurde an der Stelle des ehemaligen Stadtgrabens der ummauerten Stadt erbaut, wo die Kathedralkirche errichtet werden sollte und ist das zentrale Gebäude der Stadt. Ein imposanter Bau, errichtet 1845-1848, italienisch inspiriert, roter Plüsch-Empire-Rokoko-Jugendstil-Klassizismus. 1902-1903 nach einem Feuer im Stil der Opéra de Paris (Palais Garnier) umgebaut. Wegen Covid derzeit leider geschlossen. Zu den vollen Stunden wird man mit 2 Takten der Marseillaise beschallt.

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Théâtre de Lons-le_Saunier
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Rue Saint-Désiré

Lons: eine Stadt ohne Kathedrale. Geplant aber nie gebaut. Die erste Erwähnung der Stadtkirche Saint-Désiré (Desiderius) in Lons stammt aus dem Jahr 1083. Zufällige Brände von 1510 und 1536 verursachten schwere Schäden. Bei der Einnahme der Stadt durch Truppen von Henri IV. wurde sie 1595 erneut niedergebrannt. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde sie in mehreren Etappen wieder aufgebaut. Nach der französischen Revolution zog die Präfektur des Jura in den Gebäuden des hinter der Kirche liegenden Priorats ein und liess den Glockenturm bis Dachhöhe des Kirchenschiffs abtragen, 1878 wurde der Glockenturm wieder aufgebaut.

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Église Saint-Désiré 

Der romanische Charakter lässt sich trotz vieler Umbauten noch gut ablesen. Unter dem Chor eine schöne, aber weitgehend leere Krypta aus dem 11. Jahhundert. Licht nach Verlassen bitte wieder abschalten.

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Stein und Stühle

In weiteren Prunkbauten wie etwa dem Hôtel Dieu (Headerbild) wäre eine alte Krankenhausapotheke zu besichtigen gewesen, gegenüber die hehre Kunst im Musée des Beaux-Arts, doch Montags sind diese Orte geschlossen. Auch die lokale Gerichtsbarkeit, untergebracht in einer ehemaligen Mädchenschule, scheint sich eines freien Montags zu erfreuen. Das Käsemuseum im Stammhaus von „La vache quit rit“ sowie das Kurhaus und die Thermalbäder Lédonia interessierten mich nicht. Verpasst hab ich die kleinen, bunten Winzerhäuschen an der Rue de Balerne hinter der Comédie.

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Die Justiz der lokalen Gerichtsbarkeiten

Zeit für ein Café. Bester Chocolatier an Ort: Pelen. Maske überstülpen und ein Schächtelchen écureuils, Eichhörnchen (Nusscreme auf Nussbaiser, überzogen mit Marzipan), als Mitbringsel einpacken lassen. Das Café war Montagmorgen noch geschlossen.

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Wirklich gute Restaurants sind rar. So einladend der Name Le grain de sel wirkt, der Aushang mit dem üblichen Programm: pièce de boeuf, pintade, filets de poisson, sättigt mich schon virtuell. Kein Hunger. Was hätte ich für einen Teller wie diesen hier hergegeben.

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Erfreulich: ich hab das Autofahren nicht verlernt. Fortsetzung folgt.

Quellen:
Michelin, Grüner Führer, Burgund, Jura
Wikipédia: Lons-le-Saunier (französisch)

Der Doubs und seine Cousinen (28): Le Lison

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Heute besuche ich einen Cousin anstelle einer Cousine. Lison, ein junger Kerl, eher Dreikäsehoch denn Kerl, der nicht erwachsen werden will und es auch nie werden wird. Nach kurzen 26 km mündet er in die Loue, die Loue später in den Doubs. Die Quelle liegt am Ende eines Felsenschlusstales inmitten einer Hügellandschaft in einer einsamen Waldschlucht des oberen Lizon. Wie die benachbarte und bekanntere Loue wird sie von einer großen und sehenswerten Quellgrotte mit Wasser versorgt. Immerhin 5000 Liter/Sekunde. Hier ist Stille. Hier flüstert der Fluss von Sehnsucht, Träumen und Erinnerungen. Hier lässt es sich herbstens alleine verweilen (allein ist nicht einsam!) dem Fliessen und Rauschen der auch nach dem Sommer noch imposanten Wassermassen zuhören und über die Hektik der Menschheit in der dräuenden Adventszeit nachsinnieren.

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Source du Lison

Die reichlich vorhandene Wasserkraft wurde seit dem Mittelalter für den Betrieb von Mühlen genutzt. Im Jahr 1619 wurde ein Eisenhammer (Werkzeugschmiede, taillanderie) erbaut, der mit der Verarbeitung von Eisen für die Herstellung von Sensen und Radspeichen bald regionale Bedeutung erlangte.

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L’église Saint-Urbain

3 km nördlich durchfliesst der Lison das Dorf Nans-sous-Sainte-Anne. Gemächlich. Ohne Eile. Das Dorf gehörte seit dem Mittelalter den Herren von Chalon. Etwas oberhalb  von Nans steht ein klotzig wirkendes Schloss: Château Mirabeau, nach dem Namen des Liebhabers der Frau des letzten vorrevolutionären Schlossbesitzers benannt.

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Le Lison bei Nans-sous-Saint-Anne

Um an die Einmündung des Lison in die Loue zu gelangen, muss ein Hügelzug überwunden werden. Kein Problem für Mäxle. Er fährt gerne Wald.

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Wallfahrt oder Waldfahrt?

Über sieben Hügel nach Lizine, mit dem Blick von einem Belvedère auf den lieblichen Talgrund des Lison.

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Belvedère von Lizine, mit Blick auf den Lison

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Lizine, das öffentliche Waschhaus

Und wieder tief hinunter, an den Zusammenfluss von Lison und Loue.

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Le Lison und hinten die Loue unterhalb von Châtillon-sur-Lison

Bei einem einsamen Gehöft Nähe Corcelles gibts noch einen Blick auf eine Wildsau zu erhaschen, nichts für Halbvegetarier. Ein Schokoriegel genügt mir.

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Heute übrigens wieder mit Kommentarfunktion. Der letzte Beitrag gebärdete sich zickig. Zicken, die ich ihm nicht austreiben konnte. Das ist der letzte Reiseeintrag für dieses Jahr. Schluss mit Ausreisen. Aber nur für 2019. Ich bin noch nicht fertig mit der Franche-Comté. Das Meer muss warten. Versprochen!

Quellen: wiki edition française

Der Doubs und seine Cousinen (27): Le La Loue

(Le) La Loue. Wie das schon klingt: nach verruchtem Lebenswandel, leichter Dame, Demi-Monde, Can-Can und Straussenfedern. Falsch!!! Kurven hat sie zwar, vielmehr macht sie. Zudem stund bzw. lag sie in jungen Jahren dem Maler Gustave Corbet nackig Modell. Aber nichts von Lotterleben und Vin fou. La Loue ist ein ehrbares Mädchen vom Lande, eine weitere Cousine des Doubs, die ihm nichts als lauteres Juraquellwasser zuträgt.

Den wunderschönen Oberlauf von der Quelle bis Ornans habe ich hier unter Vallée de la Loue bereits beschrieben. Die Einmündung der Loue in den Doubs hier. Und heute -genau genommen waren es 3 verschiedene Besuche, im August und Mitte Oktober- fahre ich dem Mittelteil der Loue entlang. Flussaufwärts. Falsche Richtung, aber wer will, kann ja den Monitor auf den Kopf stellen.

Die letzte Brücke der Loue steht in Parcey, südlich von Dole, ein Bauerndorf nach dem andern bis zur Saline Royale in Arc-et-Senans.

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Bei der Brücke von Parcey

In der Franche-Comté gab es früher zahlreiche Salinen zur Salzgewinnung aus salzhaltigen Quellen. Die nächstliegende im heutigen Salins-les-Bains. Salz war ein kostbares, teures Gut. Die französischen Salinen unterstanden deshalb direkt dem König. Bis ins 19. Jahrhundert beschaffte sich die alte Republik Bern das «weisse Gold» zur Herstellung von Käse aus den Salinen der Franche-Comté und füllte mit dem Handel die Staatskasse.

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Das südlich gelegene Portalgebäude: fusslose, dorische Säulen mit schwerem Architrav

Rund um die Saline von Salins waren bald sämtliche Wälder abgeholzt, Holz musste kilometerweit herangeschafft werden. Salinen waren immer von Mauern umgeben, um den Diebstahl des kostbaren Gutes einzudämmen. Das erschwerte einen rationellen Arbeitsablauf. Architekt Claude-Nicolas Ledoux erbaute 1775 bis 1779 im Auftrag von Louis XV. eine futuristische, neue Saline in 17 Kilometer Entfernung am Rand des grossen Waldes von Chaux. Das Salzwasser wurde von Salins durch Holzleitungen (Deuchel) zur neuen Saline Royale geleitet. Nach den Worten von Ledoux sei „es einfacher, das Wasser auf Reisen zu schicken, als einen Wald Stück um Stück durch die Gegend zu fahren.“

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Die Anlage ist als halbkreisförmiger Hof mit einem Durchmesser von 225 Metern konzipiert. Zehn einzelne Bauten umstehen ihn, ergänzt durch Stallungen und Gärten. Alles ummauert. Das einzige Portalgebäude und vier weitere, ähnlich strukturierte Bauten folgen der Kreislinie im Süden, im Norden begrenzen die Fabrikationsgebäude und Verwaltungsbauten den Hof.

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Der als Steingrotte gestaltete Portikus der Wache mit Sicht auf das Direktionsgebäude

Ledoux entwarf eine in klaren, geometrischen Formen angeordnete Fabrikstadt. An alles wurde gedacht und in absolutistischer Ordnung aufgereiht:

  • Machtzentrum der Anlage ist das Direktionsgebäude mit der Dienstwohnung. Im Haus befindet sich auch die Kapelle am obern Ende einer Treppenanlage, zuoberst der Altar. Die Arbeiter durften auf den Treppenstufen stehen, den Blick nach oben zum Altar gerichtet. Der Direktor überwachte den Gottesdienst von einer Empore aus.
  • links und rechts davon die beiden grossen Produktions- und Lagergebäude mit den Salzsiedepfannen, in denen die Sole während 48 Stunden aufkonzentriert wird. Aus ästhetischen Gründen (Architektur damals wie heute) wurden keine Kamine eingebaut. Somit konnte der Rauch nur über die Dachlukarnen und die Lungen der Arbeiter entweichen.
  • an den Enden des Halbkreisdurchmessers 2 Gebäude für die Administration und Erhebung der Salzsteuern, mit Wohnungen für die leitenden Vorarbeiter.
  • anschliessend 2 Wohnhäuser mit jeweils zwölf Wohnräumen zu vier Personen für die Arbeiter und ihre Familien, dazu Gemeinschaftsküchen. Die Arbeiterfamilien durften die Anlage nicht verlassen. Die dahinter liegenden Gemüsegärtchen sollten wohl der Erholung dienen.
  • anschliessend folgen 2 Gebäude mit Werkstätten: die Schmiede für Siedepfannen und Fassreifen sowie eine Küferei.
  • in der Mitte des Halbkreises, gegenüber der Direktion der einzige Zugang zum Areal mit dem Gebäude der Wache, einem Gerichtsraum und dem Gefängnis (!) für Salzdiebe.

12-Stunden Arbeitstage in einer Rauchkammer für Menschen. Lungenkrankheiten und früher Tod waren die Folge: Arbeit macht frei.

Atelier de fabrication

Die Saline blieb bis 1895 in Betrieb. Mit dem Fall des Salzmonopols und der Salzsteuer, mit der aufkommenden Konkurrenz durch Meersalz, das auf der Schiene transportiert wurde, konnte die Saline die ihr zugedachte Bedeutung nie erreichen. Außerdem war der Salzgehalt der genutzten Sole zu gering, um wirtschaftlich erfolgreiche Salzproduktion zu betreiben.

Die Fahrt über die Halbinsel von Champagne-sur-Loue gibt Gelegenheit, mich vom Salz-Gulag wieder zu erholen.

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Die Loue bei Champagne-sur-Loue

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Die Brücke bei Champagne-sur-Loue

weiter nach Port Lesney zur nächsten Brücke:

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Die alte Brücke über die Loue in Port Lesnay

Im 15. Jahrhundert wurde hier eine dreibogige Steinbrücke erbaut, die den Weg nach Besançon verkürzte. Die dicken Pfeiler und niedrigen Gewölbe verursachten jedoch immer wieder Überschwemmungen. Also ergänzte man die Brücke noch im selben Jahrhundert durch einen zusätzlichen Bogen. Im 19. Jahrhundert schenkte man der Brücke noch einen weiteren, 5-ten Bogen, um sie dann 1940 durch eine unmittelbar daneben liegende, neue, höher gesetzte Stahlbrücke zu ersetzen. Die alte wurde 1951 abgebrochen, aber nur teilweise. Ob aus Geldmangel oder zur Attraktivitätssteigerung des Ortes, weiss ich nicht. Jedenfalls ist es hier hübsch und wenn der Treibstoff alle ist, tankt man Jurawein.

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Vins de Jura

In Rennes sur Loue wartet die nächste tiefliegende Brücke, nur noch von Bauern und Wandersleuten benutzt. Da der Ort leicht erhöht liegt, sind hier Überschwemmungen kein Thema.

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Brücke bei Rennes-sur-Loue

Ab Quingey nehme ich die Abkürzung, Nähe Courcelles sieht man sich wieder:

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Die Loue im Herbstkleid

der Weg windet sich hoch und höher Belvédères erlauben den Blick auf die tiefliegende Loue.

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Belvédère Nähe Lizine

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Belvédère Nähe Rurey

Nach Amondans sticht man wieder in die Tiefe und stösst aus dem Walde direkt auf den Traumausblick mit Traumschloss: Chateau Cléron. Drei Anläufe (sprich drei Durchfahrten nach Hause sowie die Überwindung diverser Hecken und Mauern) waren notwendig, bis ich das Schloss fotografisch adäquat im Kasten hatte.

1320 liess die Adelsfamilie, die mit der Kontrolle des Loue-Übergangs an der Salzstraße von Salins-les-Bains nach Besançon betraut war, das Schloss erbauen und begründeten damit die Herrschaft Cléron, die bis kurz vor 1700 in Händen der Familie blieb. 1639 wurde das Dorf erstmals von schwedischen Söldnern im Lohn Frankreichs verwüstet, 1641 dann ein zweites Mal von den Franzosen. Zusammen mit der Franche-Comté gelangte das Dorf mit dem Frieden von Nimwegen 1678 an Frankreich.

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Schloss Cléron an der Loue

Das Schloss wurde im 18. Jahrhundert stark umgebaut, wobei die mittelalterlichen Verteidigungsanlagen, der Bergfried, die Machikolationen (vorspringende Brüstungen), die Schießscharten und die assommoirs (dt. „Betäubungsanlagen“: Öffnungen, aus denen die Verteidiger Geschosse warfen, um Angreifer auszuschalten. Ja, manchmal ist die französische Sprache recht blumig und doch präziser als die deutschen Umschreibungen). Das restaurierte Schloss befindet sich heute im Besitz der Familie de Montrichard. Das Schloss ist für Besucher nicht zugänglich, im Juli und August darf man für 3 € den Garten besichtigen.

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Schloss Cléron

Wenn ich mich nicht verzählt habe, bin ich heute über 7 Brücken gefahren und siebenmal zu Asche geworden, glaubt man dem alten Schlager aus dem Jahre 78. Nun krieg ich den Ohrwurm nicht mehr aus dem Kopf.

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Schloss Cléron mit der neuen und alten Louebrücke

Kurz vor Ornans ein Hinweis zum Mirroir de Scey ausgeschildert. Ein Spiegel? Wozu? Die Loue zu einem kleinen See verbreitert. Bei Windstille kann man sich am Ufer anhand seines Spiegelbildes seine Locken zurechtrücken. So man noch welche hat.

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Mirroir de Scey

Quellen: wiki edition française

Der Doubs und seine Cousinen (26): La Seille

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La Seille. Nächste Cousine, neuer Bach. Oder umgekehrt. Das Bächlein Seille, das im Felsentalschluss des Cirque de Ladoye entspringt, kriegt nach wenigen Kilometern Verstärkung durch ihre Zwillingsschwester aus einem Seitental, die Seille de Baume, die ihrerseits von Dard, dem kleinen Bruder der Schwestern begleitet wird. Geschwisterlich vereint mündet das Trio nach 100 km Reise durch die Bresse südlich von Tournus in die Sâone und begegnet dort ihrem, mit Sâonewasser verdünnten Cousin zweiten Grades, dem Doubs. Kurz: furchtbar komplizierte Verwandschafts-verhältnisse.
Von Dole über Land her kommend, begegne ich dem Bach bei der Passage durch Arlay, einem historischer Ort, Liebhabern des vin jaune ein Begriff.

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Die alte Burg von Arlay

Seit dem 9. Jahrhundert existiert hier eine Burg, deren Bau einem fränkischen Edelmann zugeschrieben wird. 1269 gelangte sie in Besitz der Herren von Chalon-Arlay und Salins, den damals mächtigsten Herren des mittelalterlichen Jura in der Grafschaft Burgund. Die Ausbeutung der Salzminen von Salins sichertr ihren Wohlstand. Die damals noch salzarmen Schweizer waren für ihren Käse auf das weisse Gold aus dem Jura angewiesen. Doch hatte die Burg nicht lange Bestand. 1479 wurde sie von König Ludwig XI. auf dessen Rachefeldzug gegen Burgund zerstört. Die Chalon-Arlay-Linie war aber zäh, widerstand mit ihrem Wahlspruch „Je maintiendrai Chalon“ allen Anfechtungen, einer heiratete gar die Erbin des Fürstentums Orange und die Chalon-Arlay wurden zur Linie der Prinzen von Orange. Sein letzter Nachfahre Philibert wurde Vizekönig von Neapel und Heerführer von Kaiser Karl V.. Nach seinem Tod, 1530, in der Schlacht bei Pavia gegen den französischen König, Franz I,  fiel sein Erbe testamentarisch an seinen Neffen René de Nassau aus dem Hause Orange-Nassau.

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Rue du Bourg Dessus im alten Teil von Arlay

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La Chevance d’Or, Adelsquartier in Arlay aus dem 16. Jahrhundert

Doch letztlich setzten sich die Franzosen im Jura durch. Im Frieden von Nimwegen musste Habsburg-Spanien 1678 die Freigrafschaft an Frankreich abtreten. Nach jahrzehntelangen Erbstreitigkeiten willigte William III. von Nassau 1684 widerwillig zu, die Domaine d’Arlay an französische Adlige abzutreten. Frankreich anerkannte 1697 im Frieden von Rijswijk Wilhelms Herrschaft über die britischen Inseln und sicherte sich dafür einige Gebietszugewinne. Nach weiteren Rechtshändeln einigte man sich 1730 definitiv: Die neuen Besitzer behielten Arlay und die Nassau alle Titel. Deshalb nennt sich der heutige König der Niederlande, Willem-Alexander (der mit dem oranje Vollbart) u.a. Baron van Arlay.

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Chateau d’Arlay, 18. Jahrhundert

1770 kaufte eine Nachfahrin der Besitzerfamilie, Gattin des Prince d’Arenberg, das Areal um die alte Burg und liess 1774 ein neues Château mit romantischem Park erbauen und gestalten.

Während der französischen Revolution wurde das Schloss enteignet, die Ausstattung geplündert oder verschachert und die Gräfin um ihren Kopf gekürzt. 1825 gelang ihrem Enkel, Prinz Pierre d’Arenberg sich wieder in Besitz des Anwesens zu bringen. Er liess das leere Haus neu ausstatten und revitalisierte die heute rund 30 Hektar umfassenden Weinberge. Heutiger Besitzer ist ein Nachkomme, Graf Alain de Laguiche.

Auf alte Navigationssysteme ist heute noch Verlass, sie funktionieren auch offline.

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offline Wegweiser

An alten Wegen begegnet man immer wieder wunderschönen Alleen. Schattenspender ehemals für die Soldaten Napoleons. Schattenspender auch für mich.

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Platanenalle bei Arlay

In Voiteur, am Fuss von Chateau Chalon, gibt es nicht viel zu sehen, ein Schloss, von 1208 bis 1848 in Privatbesitz, danach gekauft von Ursulinerinnen, die hier ein Mädchenpensionat installierten. Heute ist darin eine Privatschule (Collège Privé Notre Dame De La Salette) untergebracht. Interessanter ist die Fruitiere vinicole de Voiteur, die Winzergenossenschaft mit guten Juraweinen zu anständigem Preis, die man ohne Reue auch verkochen darf.

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Schloss ohne Mädchen als Mädchenpension

Weiter, immer schön dem Bach Seille entlang:

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La Seille de Baume

Mein Ziel ist Baume les Messieurs. Ort einer Klostergründung aus merowingischer Zeit im siebten Jahrhundert. Die „cella“ war im neunten Jahrhundert der Abtei von Château-Chalon unterstellt. Im 12. Jahrhundert kontrollierte die Abtei in Baume acht Priorate und 65 Kirchen, verfügte über sprudelnde Einnahmen aus Weinbergen, aus Salinen in Lons-le-Saunier und Mühlen an der Seille.

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Abbaye Saint-Pierre

In ihrem Streben nach mehr Autonomie kam es zum Streit mit Cluny. Die Abtei musste sich den Cluniazensern unterwerfen. Kaiser Friedrich Barbarossa stellte 1153 den Rang der Abtei zwar wieder her, sie durfte  den Titel einer Reichsabtei (Abbaye impériale) tragen und erhielt Freiheiten in der Wahl ihrer Äbte. Die Abtei prosperierte bis ins 16. Jahrhundert. Im 30-jährigen Krieg erlitt die Abtei grosse Schäden, die Gemeinschaft zerfiel. Die monastischen Regeln wurden aufgelöst.

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Seille, Karstfelsen und Stützmauern

Die Säkularisation im Jahre 1759 beendete die Auseinandersetzungen: Der Papst machte die Abteikirche zu einer einfachen Stiftskirche  mit gewöhnlichen Kanonikern, meist aus Adelsfamilien. Aus dem Dorf, das sich ursprünglich Baume-les-Moines nannte, wurde ab 1759 Baume-les-Messieurs. Für die Bauern änderte sich nichts, sie waren nun statt den Mönchen den Herren tributpflichtig.

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der grosse Hof (cour abbatiale) aus dem 16. Jahrhundert. Im Hintergrund de mächtigen Karstfelsen der reculée de Baume.

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Kirche aus dem 11. Jahrhundert romanisch mit gotischen Kreuzgewölbe aus dem 15. Jahrhundert

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Gottvater persönlich aus dem 15. Jahrhundert begrüsst seine Schäfchen am Hauptportal

Die französische Revolution brachte das Ende der Feudalherrschaft. Der Besitz wurde zu Nationalbesitz erklärt und an Privatpersonen verscherbelt, die Stiftskirche wurde Dorfkirche. Der überflüssige gewordene Kreuzgang wurde im 19. Jahrhundert abgerissen.

 

Quellen: diverse Fundorte in wikipedia.