Epigramm vom Kalbsschwanz

Epigramm vom Kalbsschwanz 2013 05 21_0325

Je länger der Spätwinter andauert, desto more Schmor wird hier gekocht. 1651 erschien das Kochbuch “Le Cuisinier François” von François-Pierre de La Varenne. Eines der  Kochbücher, die den Aufstieg der französischen Kochkunst begründeten. Darin steht ein Gericht mit dem Namen:  Jarret de veau à l’épigramme. Epigramme waren bei den alten Griechen Aufschriften an einem Grabmal, einem Kunstwerk oder ähnlichem, um die Bedeutung des Gegenstandes zu erläutern. Im 17./18. Jahrhundert sind daraus kurze, poetische Gedichte geworden, die in knappster Fassung den Gefühlen und Gedanken Raum geben und auf eine Pointe -teils auch pikanten Inhalts- endeten.

Wie das Kalb zur Bezeichnung Epigramm kam, erzählt die folgende Geschichte: Anlässlich einer Tischrunde im Hause einer jungen, unbelesenen Marquise erzählten die eingeladenen Herren Offiziere von einem ausgezeichneten Nachtessen und von köstlichen Epigrammen, die sie am Vortage an einer andern Einladung beim Grafen de Vadreuil genossen hättenDie Marquise wollte auch köstliche Epigramme geniessen und verlangte anderntags von ihrem Koch, dass er ihr davon eine Platte zubereite. In seiner Not kreierte dieser die Epigrammes d’agneau. Andere Quellen schreiben die Geschichte einer männlichen Hofschranze des französischen Königs, Franz I., zu. Se non è vero…

Im letzten Jahrhundert waren Epigramme in grossen Hotelküchen beliebte Buffet-Gerichte aus „minderen“ Fleischstücken, die erst geschmort, dann paniert und gebraten wurden. In Frankreich wird ein Teil des Lammes, die Brust mit Rippen, heute noch als Epigramme d’agneau bezeichnet, das allerdings auf dem Grill zubereitet wird.

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Pressen in der Metallform. Festgezurrte Kabelbinder sorgen für Druck

Zutaten
Etwas auf den Grill zu werfen, ist bedeutend einfacher und weniger aufwendig. Aber fürs Grillieren (deutsch: grillen) sind eh andere zuständig.

Kalbsknochenbrühe, neutrale Version:
1.4 kg Kalbsknochen mit wenig Fleisch dran
5 Liter Wasser
2 Stangen Staudensellerie
3 Zwiebeln
2 Lorbeerblätter
2 Elf. Tomatenmark
10 Pfefferkörner

Kalbsschwanz-Epigramm:
Vollmahlzeit für 2 Personen

1 kg Kalbs-Ochsenschwanz in Stücken
Salz, Pfeffer
2 Elf. Erdnussöl
1 Elf. Olivenöl extra
3 Schalotten
1 Karotte
5 cm Lauchstange
1 Peterliwurzel
2 Stangen Staudensellerie
2 heurige Knoblauchzehen, angedrückt
2 Elf. Tomatenpüree
2 Thymianzweige
1 Rosmarinzweiglein
1 Lorbeerblatt
5 Wacholderbeeren, angedrückt
1 Gewürznelke
5 Pimentkörner, angedrückt
5 dl Rotwein (Nieport Fabelhaft, Tinto, Douro)
5 dl Kalbsknochenbrühe
1.5 dl Madeirawein

Panierung:
1 Ei, Pfeffer
Brotbrösel

Zubereitung
Kalbsknochenbrühe:
(1) Zubereitung nach Kalbsfond dunkel. Neu-alte Erkenntnisse. Die auf etwa 2 Liter konzentrierte, entfettete Grundbrühe verwenden.

Kalbsschwanz-Epigramm:
(2) Das vom Metzger entlang der Wirbel zerteilte Fleisch in einem schweren Topf in Erdnussöl allseitig gut anbraten, 10 Minuten. Fleisch herausnehmen, warmstellen. Fett ausleeren, Topf mit Papier abtupfen.
(3) 1 Elf. Olivenöl zugeben, alle Gemüse zugeben und bei mittlerer Hitze 5 Minuten leicht anrösten, in die Mitte des Topfes das Tomatenpüree geben, kurz mitrösten (max. 2 Minuten). Portionsweise deglacieren mit dem Madeira und etwas Rotwein. Schwanzknochen, Kalbsknochenbrühe und restlichen Rotwein zugeben. Gewürze und die Hälfte der Kräuter zugeben, aufkochen und offen für ca. 3½ Stunden in den auf 130°C vorgeheizten Ofen stellen. Zwischendurch den Rest des Rotweins [und die restlichen Kräuter] draufkippen.
(4) Fleisch herausfischen und noch warm vom Knochen lösen. Allfällig vorhandene Knorpel und grössere Gäderfetzen wegschneiden. Grössere Fleischteilchen klein schneiden. Fleisch möglichst  noch warm in eine mit Haushaltfolie ausgelegte Metallform geben. (Staedter Dreiecksform 750 ml).  Zwischendurch nach Bedarf nachwürzen mit Salz und Pfeffer. Mit ein paar Tropfen Jus befeuchten. Folie zuklappen. Ein bis zwei Brettchen passender Grösse drauflegen, fest in die Form pressen und mit Hilfe von 3 Kabelbindern und einer Elektrozange satt festzurren. Über Nacht kalt stellen.
(5) Den Kalbsschwanzjus durch ein Passiertuch filtrieren und über Nacht in den Kühlschrank stellen. Entfetten und mit dem Rest der Kräuter nach Belieben auf ca. 1/3 einkochen, dann einfrieren (die Demi-Glace wird in diesem Rezept nicht benötigt. Vorrat. Juheee…)

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Nach der Pressung: Kalbsschwanz pur, kein Analogfleisch !

(6) Anderntags das Pressfleisch aus der Form nehmen und in 1.5 cm dicke Scheiben schneiden. Das ergibt recht stabile Fleischscheiben.
(7) Wie ein Wienerschnitzel (ohne zu mehlieren) allseitig in einem verklopften Ei wenden, durch Panierbrösel ziehen und in heisser Bratbutter allseitig knusprig braten.

Servieren mit einem Klacks Salsa verde und Erbsen. Wunderbar aromatisches und in warmem Zustand saftiges Fleisch (kalt gegessen ist es im Biss kompakter). Schmeckte mir ebenso gut, wenn nicht gar besser als ein Wienerschnitzel. Aber darüber sind wir uns nicht einig geworden.

Quellen:

NYTimes
Lucas Rosenblatt

Ein Kalb ist kein Ochse. Ein Kalbsschwanz ist kein Ochsenschwanz, ist weniger ausgiebig. Ich Kalb Moses hatte erst die 1 Liter Form befüllen wollen. Dabei reichte die Menge nicht einmal für die kleinere Dreiecksform. Nächstesmal Ochsenschwanz nehmen. Oder etwas vom Saucengemüse unterjubeln. Oder doppelte Menge Kalbsschwanz. Oder Gitzibrust. Oder Lammbrust. Und die Erbsen nicht braun kochen.

21 Kommentare zu „Epigramm vom Kalbsschwanz“

  1. Sehr lecker. Leider findet man sowas kaum noch auf Speisekarten. Man hat manchmal den Eindruck, das Schweine nur aus Rücken und Filet, Hähnchen nur aus Brust usw.. bestehen.

  2. Zitat „je länger der Spätwinter andauert“ – treffender kann man dieses Desaster nicht beschreiben! 🙂
    Deine Ideenvielfalt scheint dir nie auszugehen, wenn man das heutige Rezept betrachtet …

  3. Das ist ja mal interessant und für mich auch durchaus ungewöhnlich. Mit den Erbsen und der Salsa kommt ein Ahhh-kenn ich wieder rein das beruhigt. ;-D Ich würd gern mal ein Gäbelchen davon testen. LG Anne

  4. Ich glaube, ich muss mich auch einmal bei einem L.R. Kochkurs anmelden :-)!
    Klasse gemacht!
    Liebe Grüsse aus Zürich,
    Andy

  5. Das ist wieder einmal ein Rezept, das sofort danach schreit, nachgekocht zu werden. Ich hoffe nur, dass ich Kalbsschwanz einfacher finde, als damals die Kalbsbäckchen – das war vielleicht eine Odyssee…. 🙂

  6. Hallo,

    das ist ein toller Blog, habe ihn vor kurzem erst entdeckt. Schön gemacht, schöne, auch schon mal aussergewöhnliche Rezepte – und man lernt auch noch was dazu, siehe die Epigramme!
    Habe Deinen Link gleich mal bei mir verlinkt, hoffe,das ist ok.

    Schöne Grüße in die Schweiz

    Kai

  7. Dass man selbst gruselige Dinge wie Formfleisch noch auf exquisite Art zubereiten kann, dafür braucht’s einfach nur Deine Küche 😀

  8. @Michael: so etwas zuzubereiten, kann sich kein Restaurantbesitzer mehr leisten.

    @kitchenroach: heut morgen scheint natürlich die Sonne. Aber es wird nochmals kalt.

    @Micha: mit Wienerschnitzeln findet man keine Leser mehr 😉

    @Sous-Chef Susan: hab ich bei Lucas gelernt.

    @Eva: wenn mir nichts mehr einfällt, bin ich tot.

    @Frau Ü: vom Fleisch oder von den Erbsen ? 😉

    @Rosa Mayland: pressure, thats all what is needed.

    @Julia: selbst der Schwerenöter Goethe hat welche verfasst.

    @Sabina: das freut mich, man kann/muss nicht alles nachkochen.

    @lieberlecker: ich werde Dir Ende Jahr die Vorabversion des Programms 2014 weiterleiten.

    @fiirvogu: meine sind aus der Manor-Metzgerei, frisch abgepackt.

    @Michael: Epigramme lassen sich endlos variieren. Die gibts nochmals.

    @skyaboveoldblueplace: schön, das ich auf meine alten Tage noch neue Leser finde 🙂

    @bee: das ist wie mit den Würsten, selber gemacht weiss man, was drin ist.

  9. Mit däm Rezäpt (und dr Gschicht derzue) hesch eimol meh dr Vogel abgschosse. I bi jedes Mol erneyt entzüggt. Und zieh dr Huet !
    Wenn‘ i wieder dehai bi wird‘ i nach eme Kalbsschwanz Usschau halte. Das Rezäpt reizt mi. Zerscht emol git‘ s aber e Wurschtsalat. 🙂

  10. zur ergänzung: in wien gibt es in manchen gasthäusern noch „gebackenen kalbskopf“: wird wie oben beschrieben hergestellt, meist mit sauce tatare oder remoulade dazu, und mit lauwarmem erdäpfel-vogerlsalat (vogerlsalat = feldsalat) serviert.

    was früher eine verwertung auch der sogenannten „minderen“ fleischteile war, ist heute eine vielbegehrte delikatesse. so ändern sich die zeiten.

  11. @Ferievogel: Wurstsalat ! Begreiflich 😉

    @kelef: der gebackene Kalbskopf ist hier aus einfacheren Gasthäuser ebenfalls in die Spitzengastronomie abgewandert.

    @Sascha: Besonders schwierig ist das Rezept nicht. Kommt auf den Laien drauf an. Ich bin auch einer 🙂

    @Magdi: meine Art, chinesisch zu kochen.

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