CH-3074 Muri/BE: Beton und Schlösser

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Friedhofsmauer in Muri

Ausreisen beginnen bei uns mit einem guten Mittagessen. Leere Mägen und Kultur vertragen wir schlecht. Einmal mehr lag der Startpunkt in unserem derzeitigen Lieblings-Bistrot in Bern.

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Brasserie Bärengraben. Im Spiegel: u.a. Pieds de Cochons, Bouillabaisse und Foie gras mi-cuit

Wenn dann noch das billigste Glas Rotwein (vom Offenen) ordentlich gut schmeckt, wie der Duche d’Uzes Rouge IGP La Garrigue d’Aureillac, umso besser.

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Untertorbrücke, Bern

Ein erster Halt im Murifeld galt dem Landsitz Wittigkofen. Ursprünglich wurde das Bauerngut von den Zähringern als Lehen an ihre Ministerialen vergeben. Namensgeber und erster urkundlich erwähnter Lehnsherr war Mitte des 13. Jahrhunderts Heinricus de Wittenchoven. Unter den Besitzern taucht immer wieder das Kloster Interlaken auf, das sich mit einem günstigen Verkaufspreis ein Rückfallsrecht im Erbfall sicherte. Mittelalterliches Leasing. Nach der Reformation wurden die Klöster aufgehoben und deren Besitz verstaatlicht. Bern sicherte sich dadurch die einträglichen Getreidezehnten der Kirchengüter.

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Schloss Wittigkofen

Wittigkofen wurde wiederum verkauft und durchlief mehrere Besitzerwechsel, die ihre baulichen Spuren zu einem verwinkelt an- und umgebauten Schloss hinterliessen. Trotzdem hat sich das Gut seinen spätgotischen Charakter bewahrt.

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Schloss Wittigkofen, Turmseite

Früher stand das Schloss inmitten eines landwirtschaftlichen Gutes. 1973 klotzte die Stadt eine Betonwüste mit mehreren Hochhäusern in das Feld, das heute gegen 3000 Einwohnern in 1250 Wohnungen ein Dach über dem Kopf,  fliessend kaltes und heisses Wasser, Zentralheizung  sowie Fernsehanschluss bietet.

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Betonburgen mit Schloss

Weiter zum Mettlengut in Muri. Eine noble Villa, deren heutiges Erscheinungsbild vor allem auf Graf Karl Friedrich von Pourtalès zurück geht. Heute gehört das Haus der Gemeine Muri, die darin eine Musikschule betreibt. Ein Glücksfall. Solche Häuser sind in Bern sonst von den diplomatischen Vertretungen zentralafrikanischer Kleinstaaten als repräsentative Botschaftsresidenzen heiss begehrt.

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Mettlengut

An der Thunstrasse liegt das Schloss Muri.

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Schloss Muri. Zutritt verboten, wie meist in Privatschlössern.

Johann Rudolf von Diesbach, Oberst in Frankreich und später Landvogt von Lenzburg, erwarb 1650 /1652 das bestehende, alte Schloss mit Treppenturm und liess es umbauen.

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1695 wurde das Schloss von Albrecht von Mülinen erworben, bis 1758 blieb es in dessen Familie. Die kam in Geldnöte und musste es an einen reichen Metzger und Dorfkönig verkaufen. Dieser baute das Schloss um, was letztlich selbst die finanziellen Möglichkeiten eines Metzgers überstieg. Deshalb wurde es 1825 wieder verkauft. Nach einem weiteren Handwechsel gelangte das Schloss wieder in die Hand von Patriziern.

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Die Kirche Muri, rechtsseitig der Aare gelegen, gehörte bis zur Reformation zum Dekanat Münsingen. Dieses war dem zum Erzbistum Mainz gehörenden Bistum Konstanz unterstellt. Archäologische Untersuchungen weisen auf einen früheren Bau aus dem 6./7. Jahrhundert hin. Darauf weist auch der Kirchenpatron hin, der heilige Martin, ein zu Zeiten der merowingischen Frankenkönige beliebter Kirchenheiliger.

1881 wurde der durch ein Erdbeben beschädigte, alte Kirchturm abgetragen.  Graf Friedrich von Pourtalès stiftete einen neuen Turm im neugotischen Stil, damals als „Zierde der Landschaft“ gerühmt. Bald einmal wurde er als hässlich empfunden und anlässlich von Renovationsarbeiten 1967 teilweise abgetragen und mit einem neuen Oberbau versehen. Nun ist der Turm neu, im typischen Architekturmief der siebziger Jahre erstellt. Unsere Welt würde anders aussehen, wenn man das Bauen den alten Baumeistern und nicht den Architekten überlassen hätte.

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Kirche Muri, mit abgeschnittenem Turm

Und da wir schon in Muri waren, folgte noch ein ein kleiner Abstecher zur Elfenau. Auf dem zur Aare abfallenden Gelände „zu Brunnadern“ befand sich im 13. Jahrhundert ein Frauenkloster, das aber infolge von Kriegswirren bald wieder aufgegeben wurde.

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Campagne Elfenau

Das heutige Herrschaftshaus, eine typische Berner Campagne, wurde um 1780 erbaut. Der damalige Besitzer verkaufte es 1814 an die russische Grossfürstin Anna Feodorowna (1781-1860), eine gebürtige Prinzessin von Sachsen-Saalfeld-Coburg. Diese erfreute sich im Berner Exil mit wechselnden Liebschaften ihrer wieder gewonnenen ehelichen Freiheit. Die Anwesenheit der hohen Dame schmeichelte den biedern Berner Staatsmännern gewaltig. Fürsten, Staatsmänner und Musiker gingen hier ein und aus.  „Ihro Kayserliche Hoheit“ gaben dem Gut den Namen Elfenau und 2 unehelichen Kindern das Leben. 1918 erwarb die Stadt Bern das Gut.

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Elfenau: Brunnsäule mit angefaultem Apfel

Quellen:
Wolf Maync, Bernische Wohnschlösser, Verbandsdruckerei Bern, 1979
Gemeinde Muri, Porträt

25 Kommentare zu „CH-3074 Muri/BE: Beton und Schlösser“

  1. I bi gärn mit dir/Eych virtuell durch die verschiidene Schlessli und Baute luschtgwandlet und ha mit‘ eme Schmunzle dini „bon mots“ zwysche de Ziile gläse. Danggscheen fir di unterhaltsame und bildende Guetemorgegruess !
    I wynsch dir/Eych e scheene Sunntig.

  2. Danke für diesen schönen Sonntagsausflug. Ausreisen beginnen bei uns übrigens nicht mit dem Mittagessen, sondern enden damit – ich muss ja noch ein „Lockmittel“ für den Signore als Abschluss aufbewahren 😉

  3. Danke, lieber Robert, fürs Mitnehmen. Sehr schöne Anwesen hast du uns da gezeigt, vor allem das Letzte würde ich gerne nehmen! 🙂

    Habt einen schönen Sonntag!

  4. Deine schönen Wochenendausflüge bringen mir die (von Berlin aus nicht so schnell erreichbare) Schweiz nahe, schön, dass du mich immer mal wieder mitnimmst. Und gut, dass so früh im Jahr die Schlösschen und Villen noch nicht hinterm Laub versteckt waren.

    1. In letzter Zeit sind es halt eher die unbekannteren Kleinode. Das hängt mit unserm enger werdenden Ausreiseradius zusammen.

  5. jeden sonntag wieder sehen wir etwas von der schönen schweiz. es fällt mir immer wieder auf, wie viele wirklich schöne häuser es dort gibt, von baumeistern natürlich.

    1. Über Deutschland gäbe es noch viel mehr zu berichten, auch wenn Krieg und Baggerzahn manches zerstört haben. Wenn ich dann fertig bin mit der Schweiz 😉

  6. Ich habe mich gerade verliebt…..In das wunderschöne -ehemalige- Kloster *ELFENAU*. Schon allein der Klang des Namens. Das nächste mal nimmst Du mich bitte mit, denn alles andere hätte mir auch sehr gut gefallen 🙂

    1. Gern, wann immer es etwas zu sehen gibt. Vom Kloster Brunnadern steht jedoch schon lange nichts mehr. Elfen waren keine zu sehen, als ich dort war.

  7. Man sollte den Begriff der Panoramafreiheit neu definieren: Baumaßnahmen sind nur dann erlaubt, wenn sie die bis dahin mögliche Sicht auf bestehende Baudenkmäler nicht beeinträchtigen.

  8. Ich glaube, für das Original des ersten Bildes werde ich bei Dir im Herbst nochmals vorstellig werden müssen – würde mir erstklassig für ein Requiem passen!!

  9. Wie immer am Sonntag ein interessanter Bericht, der sich teils wie eine historische Glückspost liest mit all den Edlen und der lustigen Fürstin. Ich habe nichts dagegen, Robert.
    Ja, die Architekten. In der Schweiz kann sich jeder Bauzeichner oder anderer Möchtegern-Architekt als solcher betätigen, und auch unter den Studierten gibt es sie in verschiedener Klasse. Sowohl in der Schweiz wie anderswo gab und gibt es fantastische Architektur, auch in der Neuzeit.

    1. .. von wegen Glückspost: Ich meine es nicht abschätzig, nur als Beobachtung..

    2. ich weiss, es gibt hier auch gute Architektur, nur sind die schlechten und mittelmässigen Bauten halt in der Überzahl. Ich werde auch gerne einmal eine Ausreise zu guten, modernen Bauten unternehmen. Fange damit vielleicht gleich in Basel an.

  10. Guten Abend
    Erstmal ein herzliches Kompliment für Ihre exzellente Webseite. Inzwischen bin ich regelmässiger Gast hier. Nebst den kulinarischen Leckerbissen bin ich auch von Ihren Ausflügen angetan. Gerne möchte ich mich bei Gelegenheit revanchieren. Wohin darf mich wenden?
    Beste Grüsse
    Markus Andrea Schneider

    ps
    Für interessierte Mitleser … http://www.gsk.ch/de/erweiterte-suche.html?k=Elfenau&ort=&inhaltssprache=All&autor=&verlag=All&reihe=7019&kantonsband=&bandnr=

    pps
    CH-5630 ist Muri AG siehe z.B. http://www.gsk.ch/de/die-gaerten-des-klosters-muri.html. Die PLZ von Muri BE ist 3074.

    1. Danke, auch für den Hinweis auf die verwechselte PLZ.
      Mit meinen Ausflügen möchte ich die Schönheiten unseres Landes kurz streifen als Gedächtnisstütze für mich… und Anregung für jene, die den Ort nicht kennen. Für die historischen Details sind dann Kompetentere Führer zuständig. z.B. die App SwissArtToGo. Erreichbar bin ich unter „Impressum“ in der Menuleiste oben.

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